Jungen Regisseur*innen werden bekanntlich keine Millionen für die Produktion ihrer ersten Langspielfilme zur Verfügung gestellt. Wenn es dem Nachwuchs trotzdem gelingt – etwa mit der Unterstützung von Filmhochschulkolleg*innen oder durch die Belastung von Kreditkarten – mit einem Debüt auf sich aufmerksam zu machen, dann öffnen sich Türen. US-amerikanische Jung-Regisseure verschaffen sich mit erfolgreichen Erstlingen Zugang zum Studiosystem, diesseits des Atlantiks werden preisgekrönte Low-Budget-Debüts mit Förderzusagen belohnt. Welche kostensparenden Mittel den Neulingen abgesehen von kurzen Drehzeiten und unbekannten Schauspieler*innen zur Verfügung stehen, wird im Folgenden am Beispiel einiger Filme gezeigt, die von mehr oder weniger erfahrenen Regisseur*innen erfolgreich realisiert wurden.
Single Location, Kammerspielfilm
Eine kostensparende Filmgattung ist das Kammerspiel. So spielt etwa der Großteil der Handlung der österreichischen Tragikomödie „Immer nie am Meer“ (Regie: Antonin Svoboda) in einem verunfallten Wagen. Das Gesamtbudget dieser Produktion mit Christoph Grissemann, Dirk Stermann und Heinz Strunk dürfte bei etwas über 1 Mio. € gelegen haben. Auch für das mit dem Oscar-Nominierten Schauspieler Tom Hardy besetzte Drama „Locke“ (Regie: Steven Knight), das fast zur Gänze in einem BMW X5 spielt, wurden nur 2 Mio. $ ausgegeben. In derselben Preisklasse bewegt sich der Thriller „Buried“ (Regie: Rodrigo Cortés), der vom Horror eines Lastwagenfahrers in einem Sarg erzählt. Läppische 950.000 $ soll der Psychothriller „Hard Candy“ (Regie: David Slade) gekostet haben, in dem ein Mann (Patrick Wilson) eine 14-Jährige (die damals noch unbekannte Ellen Page) in sein Haus lockt, wo dann ein Katz-und-Maus-Spiel einen unerwarteten Verlauf nimmt.
On Location
Ein anderes Mittel zur Kostenbegrenzung kann unter gewissen Umständen der On-Location-Dreh sein. Lena Dunham („Girls“) etwa hat ihren ersten Langspielfilm „Tiny Furniture“, der ihr die Tür zu HBO geöffnet hat, im Familienloft gedreht. Das Budget soll sich angeblich im niedrigen 5-stelligen Bereich bewegt haben. Im Gegensatz zu Dunham konnte Joss Whedon („The Avengers“) bereits auf eine erfolgreiche Blockbuster-Karriere zurückschauen als er die Shakespeare-Adaption „Much ado about nothing“ für mutmaßlich wenig Geld in seinem Haus realisiert hat. An Originalschausplätzen in Terrebonne Parish, Louisiana hat Benh Zeitlin das preisgekrönte Apocalypse-Drama „Beast of the Southern Wild“ für 1,5 Mio. $ gedreht. Quasi zum Nulltarif dürfte der ebenfalls vielfach ausgezeichnete deutsche Mumblecore-Film „Love Steaks“ (Regie: Jakob Lass) entstanden sein. Gedreht wurde in einem Wellness-Hotel an der Ostsee unter Mitwirkung der hauseigenen Angestellten.
Guerilla Filmmaking
Wenn on location ohne erforderliche Genehmigungen gedreht wird, ist von Guerilla Filmmaking die Rede. So ist etwa das Sci-Fi-Drama „Monsters“ (Regie: Gareth Edwards) um knappe 500.000 $ (weltweites Einspielergebnis: 4,3 Mio. $) u. a. in einer von Hurrikan „Ike“ verwüsteten Stadt gedreht worden. Als der ultimative Guerilla Film gilt manchen allerdings das Fantasy-Horror- Drama „Escape from Tomorrow“. Regisseur Randy Moore und seine Crew haben dafür heimlich in Disneyland gedreht. Der Film soll 650.000 $ gekostet haben und wurde 2013 beim Sundance Film Festival gezeigt.
Off-Screen, Off-Ton
Ein weiteres Mittel für die Produktion von Low-Budget-Filmen ist, kostspielige Szenen ins Off zu verlagern. Ein Beispiel dafür ist etwa das für 275.000 € hergestellte postapokalyptische Beziehungsdrama „One Hundred Mornings“ (Regie: Conor Horgan), in dem sich zwei Paare in einem Haus am See verstecken. Das was sich jenseits ihres Rückszugsortes abspielt, wird ausschließlich über den Dialog vermittelt. Ein Beispiel für ein Antikriegs-Drama, in dem der Krieg im Off-Ton stattfindet, ist die österreichisch-slowenische Ko-Produktion „Die Wälder sind noch grün“ (Regie: Marko Nabersnik). Der Film mit einem Budget unter einer Million Euro handelt von drei Soldaten der k.u.k. Armee, die die Schrecken des Ersten Weltkriegs auf einem einsamen Posten auf einem Berg nahe der Isonzo-Front erleben.
Europäische Filmbudgets unterschieden sich von US-amerikanischen bekanntlich enorm. Die Kosten für einen US-Studiofilm können sich schon mal zu einem Betrag summieren, der die gesamte jährliche Filmförderung in Österreich übertrifft. Entsprechende Unterschiede gibt es denn auch im Niedrig-Budget-Bereich. Was sich weit weniger unterscheidet, sind die kostenfreien Ressourcen, die dem Nachwuchs zur Verfügung stehen und die Strategien, die angewendet werden können, um diese erfolgreich auszuschöpfen. Und last but not least: Hier wie dort ist ein herausragendes Drehbuch entscheidend.
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