Dieser Artikel ist die überarbeitete Version eines Artikels vom Oktober 2011. Use Readability Button!
Hoodie: Markenzeichen unterprivilegierter Jugendlicher oder Symbol des Bösen?
Im Februar 2012 war der 17-jährige Trayvon Martin in Sanford / Florida mit einer Packung Skittles und einem Hoodie bekleidet auf dem Weg zum Haus der Freundin seines Vaters. Dort kam er aber nie an, weil er vom paranoiden Mitglied einer Nachbarschaftswache erschossen wurde. Wenig später provozierte der Journalist und Talk Show Host Geraldo Rivera auf Fox News mit der Aussage, Trayvon Martins Hoodie sei für den Tod des Jungen gleichermaßen verantwortlich gewesen, wie der Schütze George Zimmerman. Mit dieser Aussage hat er nicht nur die Familie des Opfers erzürnt, damit unterscheidet er sich auch von jenen Menschen, die nach Trayvons Tod am „Million Hoodie March“ in New York City teilgenommen haben. Für diese ist der durch die Medien arg in Verruf gebrachte Kapuzenpullver ein Symbol für die Ungerechtigkeit im Umgang mit dem Tod von Trayvon Martin geworden.
Die Entwicklung des Kapuzenpullovers von der praktischen Arbeiterkleidung, über die Vereinnahmung durch die Sport- und Modeindustrie bis zum Hoodie-Verbot in der NBA wurde seit den Vorfällen in Sanford und Tottenham unter anderem im „Rolling Stone“ und im „The Guardian“ ausführlich beschrieben. Im Folgenden wird an der Darstellung des Hoodies im Film untersucht, ob sich der Blick auf (unterprivilegierte) Jugendliche in den letzten Jahre verändert hat.
Hood Film der 90er
Es sind nicht unbedingt die Klassiker des „Hood film“ genannten Genres, welches die Kultur und Soziologie afro-amerikanischer Inner Cities thematisiert, in denen die Kapuze besonders auffallen würde. In dem im sommerlichen Kalifornien spielenden „Boyz n the Hood“ (1991) kommt der Hoodie so gut wie gar nicht vor und im Klassiker „Menace II Society“ (1993) ist es der noch zu läuternde Protagonist, Nachwuchs-Gangster Cain, der den zur Nation of Islam bekehrten Sharif für seine Kapuze kritisiert: „Why you got that hood on your head? Look like the grim reaper„. Worauf ihn der religiös und politisch bekehrte Sharif ironisch belehrt: „You know us black folks not used to this cold air.“
Es ist ein älterer Film, der im Zusammenhang mit dem Kapuzenpullover häufiger genannt wird: Im Boxerfilm „Rocky“ (1976) trug der damals 30-jährige Sylvester Stallone beim Lauftraining zwar eine Wollmütze, zu seinem Markenzeichen wurde aber der graue Hoodie. Dieser wird aber weniger als modisches Outfit, denn als praktisches Bekleidungsstück vorgeführt, auch wenn der Hoodie just in diesem Jahrzehnt mit dem Auftauchen in der frühen Graffiti- und Skaterszene ein zunehmend cooles Image bekam.
Hoodies im Film der 2000er
Eine wichtige Funktion für die Charakterisierung des Protagonisten hat der Hoodie in „8 Mile“ (2002). Darin spielt Eminem den White-Trash-Rapper Johnny aka Rabbit. Der sensible Rabbit hat eine Begabung für das Schreiben und Performen von Rap-Songs. Diese Begabung will er nutzen um dem Trailerpark zu entkommen und um – nicht zuletzt in der schwarzen Rap-Community – anerkannt zu werden. Nicht nur seine Freunde haben Rabbits Begabung erkannt, potentielle Nutznießer/innen fühlen sich davon angezogen und seine Konkurrenten fühlen sich davon bedroht. Aber Rabbit ist ein Einzelgänger, dementsprechend zieht er sich nicht selten in seine Kapuze zurück, von wo aus er unsicher hinaus schielt und die Lage draußen sondiert. Wenn der Underdog am Ende in einem Rap-Battle verbal ausholt und den Gegner schlägt, hat er die Kapuze abgelegt.
Ein bemerkenswerter Film, in dem der Hoodie zwar nicht auf den Köpfen krimineller Jugendlicher sitzt, aber nichtsdestoweniger Gefahr symbolisiert, ist „Hard Candy“ (2005). Die von Ellen Page gespielte 14-jährige Bildungsschicht-Jugendliche Hayley lernt in einem Chatroom den 32-jährigen Jeff kennen. Nach einem 3-wöchigen Online-Flirt geht sie zu ihm nach Hause. Das Rotkäppchen ist aber nicht etwa (Achtung Spoiler) ein naives Opfer, sondern entpuppt sich im Gegenteil als raffinierter Racheengel, der mit allerlei Wissen und Begabungen ausgestattet ihren erwachsenen Gegner in den Tod treibt.
Ironie
Bereits seit 1997 wird der Hoodie mit einer Figur aus „South Park“ ironisiert: Der White-Trash-Jugendliche Kenny McCormick, der Draufgänger der South-Park-Clique, wird von den Zuschauer/inne/n oft nicht verstanden, weil er in seine Kapuze hinein nuschelt. Eine Besonderheit dieser Figur ist es, dass sie ständig stirbt und ohne Erklärung wieder aufersteht. Mit Letzterem könnte die Zähigkeit angedeutet sein, mit der Jugendliche unter widrigsten Umständen überleben.
In eine solche Richtung zielt jedenfalls die britische Science-Fiction-Komödie „Attack the Block„. Hier überfallen Moses (!) und seine jugendliche Gang zu Beginn der Filmhandlung mit Kapuzen und Schal maskiert eine Frau. Dass das alles nicht so ernst genommen werden soll, wird spätestens dann klar, wenn die Jugendlichen von wuscheligen Wolf-Aliens angegriffen werden. Diese Jugendlichen fackeln nicht lange: Es wird effizient mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der block verteidigt.
Ironisiert hat den Hoodie auch der geheimnisumwobene britische Street-Art-Künstler Banksy, dessen Gesicht in seiner Mockumentary „Exit Through the Gift Shop“ (2010) in einem Hoodie verschwindet.
Badass Hoodie
Immer öfter kommt der Hoodie in Filmen britischer Provenienz allerdings im Thriller und Horror-Genre vor. Das dürfte nicht zuletzt mit der weltweit einzigartigen Überwachungssituation in Großbritannien in Zusammenhang stehen: Der Hoodie ist praktisch, wenn man sein Gesicht vor einer der unzähligen Kameras verbergen möchte. Dieser Zusammenhang wurde bereits 2006 zum Beispiel in einem Artikel mit dem Titel „Fear of Hoodies – London’s new angry young men“ (Slate) beschrieben. In jenem Jahr machten Jugendliche mit Kapuzen wegen tätlicher Übergriffe häufig in den Medien von sich reden. Der damalige Tory-Leader und jetzige Premierminister David Cameron fühlte sich bemüßigt, in einer Rede zur sozialen Gerechtigkeit zur Verteidigung des Kapuzenpullovers auszuholen: „(…) hoodies are more defensive than offensive. They’re a way to stay invisible in the street. In a dangerous environment the best thing to do is keep your head down, blend in.“
Diese Fürsprache hat aber nicht viel genutzt: „Hoodie“ ist nicht nur ein Sammelbegriff für alle Arten von Bekleidungsstücken mit Kapuze, „hoodie“ wurde wegen eben dieses Kleidungsstücks auch zur Bezeichnung für zornige Jugendliche in UK. Der Hoodie ist zunehmend nicht mehr Symbol für die unterprivilegierte und hoffnungslose Jugend in den Ghettos von London, Paris, Baltimore, New Orleans, Sao Paolo und Johannesburg, der Hoodie ist zunehmend Symbol für das Böse. Seit 2006 sind zahlreiche Filme erschienen, in denen Hoodie-Träger von ihrer brutalsten Seite gezeigt werden. Das belegen einige der von Jane Graham schon 2009 in einem Artikel mit dem Titel „Hoodies strike fear in British cinema“ (Guardian) genannten Filme („Harry Brown„, „Heartless“, „Summer Scars“). In „Harry Brown“ (2009) spielt Michael Caine einen alten Herrn, der eines Tages von den gewalttätigen und kriminellen Umtrieben jugendlicher Kapuzenträger in der Unterführung seiner Sozialbausiedlung die Nase voll hat und zu den Waffen greift. Während es in „Harry Brown“ noch jugendliche Straftäter sind, die zum Fürchten sind, treiben in den Horror-Dramen „Heartless“ (2009) und „Citadel“ (2012) Dämonen und Monster in Kapuzen in desolaten Wohntürmen ihr Unwesen.
In den USA beschäftigt sich Serien-Macher David Simon mit zornigen Jugendlichen. Hoodies sind folglich auch wiederkehrende (Ausstattungs)Motive in seinen Kultserien. Während die Kapuzen in „The Wire“ noch auf den Köpfen von kleinen, zum Teil durchaus umgänglichen Drogendealern zu sehen sind, verbergen die Hoodies in „Treme“ die Gesichter zunehmend verrohender junger Männer im schwer geschädigten New Orleans nach Katrina, die im Vorbeigehen vergewaltigen und morden. In den TV-Erzählungen Simons kann der Kapuzenpullover als Symbol für „die verheerenden postindustriellen Zustände in Detroit („literally a gothic city“), West Baltimore (…)“ und anderen Städten gelesen werden. Simon rechnet übrigens auch damit, dass in vielen dieser Städte Steine fliegen werden.
Aber zurück nach Großbritannien: Erneut um die Welt gegangen ist das Bild des Hoodie mit den Unruhen in England 2011, die im Londoner Tottenham ihren Ausgang genommen hatten. Es wurde vielfach darüber berichtet, dass im Zentrum der Tottenham riots eine hoffnungslose Jugend stehe, die nicht um gesellschaftliche Veränderungen kämpfe, sondern die mit Brandanschlägen und Plünderungen auf drastische Weise Dampf ablassen wolle. Während in Athen und Madrid Menschen aller Altersstufen und aus allen sozialen Schichten auf die Straße gingen, waren es in Paris und London hauptsächlich Jugendliche aus der Unterschicht. Der Unterschied zwischen der Pariser „Banlieue-Malaise“ und den protestierenden Menschen in Madrid ist dann auch auf dem ersten Blick sichtbar: Die Ersteren sind mit Kapuzen und Schals für Brandanschläge maskiert, die Letzteren mit Rucksäcken für lange Sit-ins ausgerüstet.
Mit den Ereignissen in London sind auch wieder Texte zur filmischen Darstellung dieser Phänomene produziert worden, in denen zum Beispiel häufig der im dokumentarischen Stil gedrehte Spielfilm „La Haine“ (1995) genannt wird. Über die Darstellung von zornigen Jugendlichen hat Peter Rabenalt 1999 in seinem Standardwerk zur Filmdramaturgie in Bezug auf die italienischen Neorealisten der 40er und ihren britischen Nachfahren in den 60ern geschrieben: „Der Zorn der jungen Männer entlud sich mit geballter Kraft auf die konservativen Werte und erstarrten hierarchischen Strukturen in der Gesellschaft. Dafür waren die dramaturgischen Muster des Unterhaltungskinos mit Spannungsdramaturgie, Melodram oder Happy-End ungeeignet. Charakteristisch für die Dramaturgie dieser Filme sind alltägliche Ausgangssituationen, Konflikte, die aus den sozialen Lebensbedingungen erwachsen, und offene Schlüsse, denn die Figuren kommen nicht in den Genuss einer zufälligen glücklichen Lösung.“
Fetischisierung unterprivilegierter Jugendlicher
Im Gegensatz zu einem sozialrealistichen Ansatz hat sich der Musikvideo-Regisseur Romain Gavras unter großzügigem Einsatz von Hoodies mit der „Fetischisierung der Unterprivilegierten“ einen Namen gemacht. Im Musikvideo „Stress“ des französischen Elektronik-Duos „Justice“ wüten Jugendliche in Kapuzen mit Schlagstöcken und Spraydosen bewaffnet durch eine desolate Wohnsiedlung. Im Song „No Church in the Wild“ ( Jay-Z & Kanye West) geht es zwar um Religion und Dekadenz, aber Gavras bebildert das Lied mit einem anarchischen Aufruhr, in dem junge Männer mit Kopftüchern und Kapuzen Molotow Cocktails auf schwer bewaffnete Uniformierte werfen. Mit dem bemerkenswerten Kontrast zwischen Lyrics und Video hat sich ein Artikel auf Slate beschäftigt.
Upcoming
Wie sich das Bild des Hoodie und seiner Träger weiterentwickeln wird, bleibt zu beobachten. Demnächst kommt jedenfalls die Adaption eines Games in die Kinos, in denen die Kapuze einen neuartigen Träger gefunden hat: einen Roboter. Das bei der Kritik und an der Kasse erfolgreiche Science-Fiction-Superhero-Game Prototype (Game Trailer) folgt dem unter einer Kapuze verborgenen Alex Mercer, der in einem apokalyptischen New York City im Keller eines Gentechnik-Unternehmens aufwacht und dank der ihm dort verpassten Superkräfte dem Militär und infizierten Monstern entkommen und die an der Misere Schuldigen bekämpfen kann.
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