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How To Learn, Literatur, Literaturadaption

Adaptionsgeschichte: Ansätze und Theorien (Teil 2)

Literaturadaption – Ein Aufsatz (Teil 1)

Aristoteles: Über die Dichtkunst
Schon Aristoteles hat das Problem der Adaption handlungsreicher und große Zeiträume umfassender Geschichten an mehreren Stellen in seiner Abhandlung „Über die Dichtkunst“ angesprochen: „Der Dichter muß ferner, wie wiederholt bemerkt wurde, sich daran erinnern seine Tragödie nicht episch zu gestalten. Unter episch verstehe ich aber einen vielstoffigen Inhalt, wie wenn jemand z.B. den ganzen Stoff der Ilias dramatisieren wollte. Dort (im Epos) erhalten nämlich in Folge seiner Länge die Teile ihre angemessene Ausdehnung, in den Dramen aber wird dies (Verfahren) einen der Erwartung ganz entgegengesetzten Erfolg haben. Ein Beweis dafür ist, daß diejenigen, welche die Zerstörung Ilions als Ganzes dramatisierten und nicht einzelne Teile, wie Euripides, oder die Sage der Niobe, und nicht wie Aischylos, entweder durchfielen oder im Wettkampf schlecht abschnitten, hat doch sogar Agathon in diesem Punkte allein einen Mißerfolg zu verzeichnen.“

Link-Tipp:
Aristoteles: Über die Dichtkunst. Kapitel KAPITEL XVIII

Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766)
1766 hat Lessing in seiner Schrift „Laokoon“ am Beispiel der Darstellung einer Episode aus der antiken Mythologie über die Grenzen der Mahlerey und Poesie reflektiert. Es ist ein vielzitiertes Werk auch in Zusammenhang mit der Adaption von Literatur geworden. Ein ebenso viel zitiertes Werk über die Grenzen des Films zu anderen Künsten mag noch ausstehen, Versuche zur Erkundung der Bezüge zum Beispiel zwischen Filmkunst und Bildender Kunst wurden aber längst unternommen, unter anderem in „Filmkunst. Studien an den Grenzen der Künste und Medien“ (Schüren Verlag). In dessen Vorwort „Laokoon Reloaded“ geht es unter anderem auch um jene Episode in Akira Kurosawas „Dreams“, in der ein japanischer Museumsbesucher die Bildwelten Vincent van Goghs erkundet.

Link-Tipps:
Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie
Henry Keazor, Fabienne Liptay, Susanne Marschall (Hrsg.): FILMKUNST. Studien an den Grenzen der Künste und Medien. Vorwort: Laokoon Reloaded

André Bazin: Für ein unreines Kino – Plädoyer für die Literaturverfilmung (1952)
André Bazin, einer der bedeutendsten Filmkritiker seiner Zeit, konnte bereits 1952 in seinem „Plädoyer für die Literaturverfilmung“ auf eine 50-jährige Geschichte der Literaturverfilmungen zurückblicken. Bazin stellte fest, dass die Filmkunst nach einem halben Jahrhundert ihre spezifischen Ausdrucksmittel durchdrungen hatte, sich ihrer Funktionsweisen bewusst geworden und so weit bei sich angekommen war, dass sie sich bei der Adaption von literarischen Vorlagen in eigenständiger Weise um Werktreue bemühen konnte. Oder anders gesagt: Nun beherrschte die Filmkunst ihre Ausdrucksmittel und Erzähltechniken so weit, dass sie Theater nicht mehr abfilmen bzw. Literatur nicht mehr bebildern musste, sondern sich daran machen konnte, den Geist eines Werkes mit den ihr eigenen Mitteln auf die Leinwand zu übertragen.

Literaturhinweis:
Bazin, André. Was ist Film? Der Text wurde in französischer Sprache erstmals 1959 posthum, in dem vierbändigen Werk “Qu‘est-ce que le cinéma?” publiziert.

Michail Bachtin: Chronotopos (1975)
Wie Zeit in der künstlerischen Gestaltung gedehnt oder verkürzt werden kann und wie Raum-Zeit-Beziehungen mit dem Genre in Zusammenhang stehen, damit beschäftigte sich Michail Bachtin. Über den von ihm eingeführten Begriff „Chronotopos“ zur Zeit-Raum-Verschränkung in literarischen Texten heißt es: „Im künstlerisch-literarischen Chronotopos verschmelzen räumliche und zeitliche Merkmale zu einem sinnvollen und konkreten Ganzen. Die Zeit verdichtet sich hierbei, sie zieht sich zusammen und wird auf künstlerische Weise sichtbar; der Raum gewinnt Intensität, er wird in die Bewegung der Zeit, des Sujets, der Geschichte hineingezogen. Die Merkmale der Zeit offenbaren sich im Raum, und der Raum wird von der Zeit mit Sinn erfüllt und dimensioniert.“ In seinem Fachbuch zu Theorie und Praxis der Filmadaption wertet der Filmwissenschaftler Robert Stam das Konzept des Chronotopos – welches davon ausgeht, dass Geschichten Zeit und Raum brauchen – als ideal für das Medium Film, wo Räumliches und Zeitliches zu einem durchdachten konkreten Ganzen verschmelzen. Stam schreibt in Bezug auf Bachtins: „In filmic terms, a chronotopic model of analysis evokes suggestive linkages between three elements: (1) typical decor in film (the bars, lounges and city streets of film noir, for example); (2) temporal articulations (in film the faux raccords of Resnais, or the slow pacing of Satyajit Ray); and (3) spatial articulation (the flattended perspectives of a Godard, the oblique angularity of a Welles).

Literatur-Hinweise:
Michail Bachtin: Formen der Zeit und des Chronotopos im Roman.

Stam, Robert: Literature and Film: A Guide to the Theory and Practice of Film Adaptation. Wiley-Blackwell 2004.

Adaptionsarten nach Helmut Kreuzer (1981)
Nicht alle Literaturvorlagen eignen sich in der gleichen Weise zur Verfilmung. Manche erlauben eine annähernd werkgetreue Adaption, andere verlangen nach einer interpretierenden Transformation, die sich mehr oder weniger weit von der Vorlage entfernen kann. Zur Unterscheidung der Arten von Literaturverfilmungen werden auch heute noch häufig die von Helmut Kreuzer 1981 formulierten vier Arten von Literaturadaptionen herangezogen:

1. Adaption als Aneignung von literarischem Rohstoff: Filme dieser Art bedienen sich ausgewählter Handlungselemente oder Figuren aus der Vorlage, Literatur ist hier Stofflieferant. Bei dieser Herangehensweise handelt es sich um die uneigentlichste Art der Adaption.
2. Adaption als Illustration: Diese Art der Adaption hält sich ohne Berücksichtigung der Wirkungsweisen und Formgesetzlichkeiten des neuen Mediums so weit wie möglich an Handlungsvorgänge und Figurenkonstellationen in der Vorlage. Diese häufig als bebilderte Literatur bezeichneten Werke werden als Filme meistens geringgeschätzt.
3. Interpretierende Transformation: Unter Berücksichtigung der medienspezifischen Bedingungen wird nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form-Inhaltsbeziehung, der Sinn und die Wirkungsweise der Vorlage ins Bild übertragen. Ein solches analoges Werk kann den Geist der Originals beibehalten, auch wenn die Gestalt radikal verändert wird.
4. Adaption als Dokumentation: Aufzeichnungen von Theateraufführungen.

Literaturhinweise:
Kreuzer, Helmut. „Arten der Literaturadaption“. In: Gast; Wolfgang. Literaturverfilmung: Buchner 1993. S. 27-32.

Schanze Helmut (Hg.): Fernsehgeschichte der Literatur. Voraussetzungen, Fallstudien, Kanon. S. 82-92.

Link-Tipp:
Ein Vergleich der Kategorisierungen von Kreuzer mit denen von Schanze ist in der Diplomarbeit von Anja Cermenek ab S. 51 nachzulesen.

Wolfgang Gast (1993)
Von Wolfgang Gast wurden bezogen auf die inhaltliche Adaption ohne den Anspruch auf Vollständigkeit folgende Adaptionsformen ausdifferenziert:

1. Aktualisierende Adaption
2. Aktuell-politisierende Adaption
3. Ideologisierende Adaption
4. Historisierende Adaption
5. Ästhetisierende Adaption
6. Psychologische Adaption
7. Popularisierende Adaption
8. Parodierende Adaption

Robert Stam (2000)
Seit den 1960er-Jahren haben Theorien zu Intertextualität (z. B. Julia Kristeva) und Transtextualität (Gérard Genette) das Denken über Literaturadaptionen beeinflusst. Diesen Spuren folgt der Filmwissenschaftler Robert Stam, wenn er Literatur und Film als Mischformen (synthetische Kunstformen) betrachtet, welche immer schon andere Medien für ihre Zwecke benutzt haben, und wenn er Adaptionen als Teil eines größeren intertextuellen (oder intermedialen) Dialogs verstanden wissen will. Aufgrund der Unterschiede der beiden Medien und da sich Lesarten eines Werkes je nach Perspektive der Leser/innen unterscheiden, sei absolute Werktreue bei der Literaturadaption nicht möglich. In seiner Auseinandersetzung mit Genettes fünf Formen der Transtextualität findet Stam zu einigen Strategien, die bei der Adaption literarischer Vorlagen zum Einsatz kommen können: Selektion, Verstärkung, Konkretisierung, Aktualisierung, Kritik, Extrapolation, Analogisierung, Popularisierung, Rekulturalisierung.

Literaturhinweise:
Stam, Robert: Literature and Film: A Guide to the Theory and Practice of Film Adaptation. Wiley-Blackwell 2004.

Stam, Robert: Beyond Fidelty. The Dialogics of Adaptation. In: Naremore, James: Film Adaption. S. 54-76. (Abstract)

Link-Tipp:
Ein Text, der sich mit einem Fragenkatalog zu diesen Strategien beschäftigt, ist hier zu finden.

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