Zuletzt ist in Zusammenhang mit der Netflix-Serie „House of Cards“ wieder viel von Streamingplattformen und deren Potential für die Innovation im Storytelling die Rede gewesen. Flixe hat das zum Anlass genommen, Karin Haager (Flimmit CFO) und Ulrich Müller-Uri (Flimmit CEO) unter anderem zu den Entwicklungen auf der von ihnen betriebenen österreichischen Streamingplattform Flimmit zu befragen. Im Interview geht es um kuratierte Filmprogramme auf Flimmit, um „Programmzeitschriften“ für Video-on-Demand-Angebote und um die Frage, ob Streaming die Erzählweise von audiovisuellen Geschichten verändern wird.
Q: Im Dezember 2012 konnten Cineast/inn/en mit dem STREAMS-Festivals auf Flimmit aktuelles Independentkino aus insgesamt sieben europäischen Ländern anschauen. Zu sehen waren vielfach ausgezeichnete Filme junger Filmemacher/innen, wie zum Beispiel die irischen Dramen „One Hundred Mornings“ und „Sensation“. Wie ist dieses Online-Filmfestival des europäischen Nachwuchsfilms nach Österreich gekommen?
A: STREAMS ist ein Projekt, das wir gemeinsam mit unseren Partnern von EuroVoD umgesetzt haben. Das Netzwerk wurde 2010 während der Filmfestspiele in Cannes gegründet und engagiert sich für eine bessere technische und organisatorische Kooperation von VoD-Anbietern in Europa. Vergangenes Jahr haben sich die Partner das Ziel gesetzt, neben technischen Aspekten auch die inhaltliche Zusammenarbeit auszuweiten. Daraus wurde dann die Idee zu einem gemeinsamen Online-Filmfestival geboren.
Q: Mit einem ähnlichen Paketangebot konnten Nutzer/innen zuletzt auf Flimmit auch eine Reihe französischer Filme anschauen, darunter so spannende Arbeiten wie „La Désintégration“ und „Une bouteille à la mer“. Wie kam es zur Kooperation mit myFrenchFilmFestival?
A: UniFrance, die Veranstalterin von myFrenchFilmFestival, ist an die EuroVoD herangetreten. Das Festival selbst lief ja dieses Jahr schon zum dritten Mal und war auf Videoplattformen in der ganzen Welt zu sehen. Dass mit Flimmit 2013 zum ersten Mal auch eine österreichische Plattform mit dabei war, ist für uns natürlich ein schöner Erfolg.
Q: Wie groß war das Interesse, diese österreichischen Erstaufführungen von europäischen Filmen via Streaming anzuschauen?
A: Das Angebot ist von vielen Nutzern angenommen worden, was für uns wieder einmal eine Bestätigung dafür war, dass Paketauswertungen und kuratierte Filmreihen auch im Internet funktionieren. Gerade auf europäischer Ebene funktioniert diese Art von Austausch gut. Natürlich hat man dabei auch Hürden zu überwinden, manche Nutzer zum Beispiel sehen einfach nicht gerne Filme mit Untertiteln. Prinzipiell ist das Interesse aber da und wenn das Produkt stimmt, wird Streaming auch gerne genutzt.
Q: Sind für dieses Jahr ähnliche Angebote in Planung?
A: Ja, unbedingt. Das STREAMS-Festival wird nach dem erfolgreichen Auftakt in die zweite Runde gehen. Der genaue Termin steht zwar noch nicht fest, aber eine Wiederaufnahme ist fix eingeplant. Andere, kleinere Kooperationen und Projekte sind gerade in der Verhandlungsphase. Alles in allem wird 2013 für Flimmit sicher ein spannendes Jahr.
Q: Flimmit bietet Nutzer/innen mit dem Online-Movie-Guide die Möglichkeit, nach DVD-Kauf- und legalen Streamingangeboten für einen Film zu suchen. Wie schätzt ihr das Entwicklungs- und Geschäftspotential für diesen äußerst nützlichen Service ein?
A: Das Potential ist riesig. Prinzipiell funktioniert unser Online-Movie-Guide ja ähnlich wie eine Programmzeitschrift fürs Fernsehen – und von denen gibt es im deutschsprachigen Raum unzählige. Je größer und unübersichtlicher das Online-Filmangebot wird, desto größer wird unter den Nutzern auch das Bedürfnis nach Werkzeugen, die bei der Orientierung helfen. Dabei braucht es für eine solide geschäftliche Entwicklung aber natürlich auch entsprechende Partner. Flimmit allein kann die Aufgabe nicht bewältigen. Wir hoffen, dass wir in Zukunft weitere Anbieter von dem Modell überzeugen können.
Q: Es ist unschwer zu erkennen, dass in Zeiten von Breitbandinternet und „Heimkino“ Streamingangebote an Bedeutung gewinnen werden und für die Verbreitung des europäischen Films eine wichtige Rolle spielen könnten. Welche Aspekte bremsen Anbieter/innen wie Flimmit bei der Ausschöpfung dieses Potentials?
A: Geld und Lizenzen. Wir beobachten, dass manche Rechteinhaber noch zögern, was die Auswertung ihrer Inhalte im Internet betrifft. Andere haben sich noch nicht für eine Lösung entschieden. Und ohne die nötige Anschubfinanzierung kommen Projekte wie Flimmit natürlich auch nicht vom Fleck. An der erfolgreichen Entwicklung von Angeboten wie Filmin in Spanien oder UniversCine in Frankreich sehen wir aber, dass ein Umdenken stattfindet und dass das Modell selbst Zukunft hat.
Q: Wird das sogenannte Eventkino seine Dominanz gegenüber dem weniger spektakulären Arthouse-Kino eurer Meinung nach noch weiter ausbauen? Und in Zusammenhang damit: Bieten Streamingangebote dem Arthouse-Drama die Chance, trotzdem gesehen zu werden?
A: Das Eventkino wird immer versuchen, seine Dominanz weiter auszubauen. Streaming bietet hier insofern eine Alternative, als es eine neue, längerfristige Auswertung erlaubt als bisher üblich war. Gleichzeitig wachsen dadurch natürlich auch Konkurrenzdruck und Beliebigkeit. Jeder kann heute Filme online stellen. Ein wirklich guter Film wird aber immer sein Publikum finden.
Q: Es kann zwar jeder einen Film irgendwo ins Internet stellen, aber gefunden werden tendenziell jene Filme, welche auf den sich derzeit etablierenden Portalen Platz finden. In den USA hat sich bereits ein Markt für Independentfilme entwickelt, die nie regulär im Kino starten, dafür aber in der VoD-Auswertung viele Zuschauer/innen und auch die Aufmerksamkeit von Kritiker/innen haben. Gibt es von Seiten der europäischen Filmemacher/innen spürbare Vorbehalte gegen eine solche Entwicklung in Europa?
A: Prinzipiell kann man vielleicht sagen, dass das Modell, Filme im Internet zu vertreiben oder sogar fürs Web zu produzieren in Europa noch nicht so ausgereift ist wie in den USA. Das hat zum Teil sicher damit zu tun, dass der europäische Markt heterogener ist als der amerikanische. Trotzdem haben wir nicht den Eindruck, dass sich die europäischen Filmemacher/innen insgesamt gegen die Entwicklung sperren. Viele Bereiche der europäischen Filmindustrie – von der Finanzierung und Förderung angefangen – sind aber noch auf eine klassische Auswertung im Kino angelegt.
Q: Zuletzt wurde die gesamte erste Staffel der Serie „House of Cards“ auf Netflix veröffentlicht. In Zusammenhang damit war viel von Innovation im Storytelling die Rede. Auch wenn besagte Serie dramaturgische Regeln nicht auf den Kopf gestellt hat, ist es doch so, dass Streaming bzw. VoD den Film aus dem 90-Minuten-Korsett befreien und die Dramaturgie von audiovisuellen Werken maßgeblich verändern könnte. Welche Perspektiven/Potentiale eröffnet das zum Beispiel für den weniger formelhaften Independentfilm oder etwa auch für die Fortsetzungsserie?
A: Filme, die sich dem klassischen Blockbuster-Schema verwehrt haben, hat es ja auch vor Streaming schon gegeben. Auf der anderen Seite ist diese neue Form der Verbreitung im Vergleich zu klassischer Kinoauswertung oder Fernsehformaten natürlich wesentlich flexibler und erlaubt mehr Experimente. Ob das die Art und Weise, wie wir Geschichten erzählen, dauerhaft verändern wird, muss sich erst noch weisen. Da stehen wir sicher am Beginn einer spannenden Entwicklung. Dennoch ist es am Ende doch so: 90 Minuten oder nicht – die Erzählweise muss vor allem dem Stoff gerecht werden. Guter Content hat immer Potential.
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