Rashōmon (Regie: Akira Kurosawa)
Filme, die mit Perspektivenwechsel arbeiten, haben oft ein dramatisches Ereignis zum Inhalt, das von kurzer Dauer ist. Schon 1950 hat Akira Kurosawa in „Rashōmon“ damit experimentiert: Ein Samurai geht mit seiner Frau durch einen Wald und stirbt gewaltsam. Wie ist er gestorben: Durch die Hand eines Verbrechers, durch die seiner Ehefrau oder durch Selbstmord? Beim Verhör der Zeugen werden in Rückblenden immer neue und überraschendere Varianten der Ereignisse im Wald geschildert und damit die Neugier des Zuschauers gesteigert.
Elephant (Regie: Gus van Sant)
Anders in „Elephant“: In diesem nur 78 Minuten dauernden Film, der das Massaker an der Columbine High School zum Thema hat, geht es nicht darum, die Wahrheit herauszufinden. Gus van Sant versucht auch nicht die Motivation der Täter Eric und Alex zu erklären. Die immer gleichen Begegnungen eines ca. 2-stündigen Schulalltags werden aus verschiedenen Perspektiven gezeigt. Eine Montage aus dem Alltag von Alex wird dazwischen geschnitten: Alex wird in der Schule gehänselt, checkt die Cafeteria aus, geht nach Hause, spielt Klavier, bekommt Besuch von Eric, erhält eine Waffenlieferung, duscht mit Eric. In diesen Szenen, die aus Alex’ Perspektive erzählt werden, bekommt der Zuschauer ein paar Hinweise darauf, wer die jugendlichen Killer sind. In der sechzigsten Minute fahren die Beiden mit dem Auto in die Schule und beginnen mit dem Gemetzel, das für sie wie die nächste Spielebene ist. Aber auch hier: Der größte Teils des Films erzählt den kurzen tragische Schulvormittag an der Columbine High School aus verschiedenen Perspektiven.
Vantage Point (Regie: Pete Travis)
Um einen Terroranschlag mit Präsidentenentführung geht es in dem Thriller „Vantage Point“ von Pete Travis. Erzählt werden Ereignisse, die zeitgleich in ca. 23 Minuten an mehreren Schauplätzen stattfinden: Auf der Placa Major im spanischen Salamanca hält das Double eines gefährdeten amerikanischen Präsidenten eine Rede. Das Double wird angeschossen und wenig später detoniert eine Bombe. Währenddessen ist ein Killer zum Hotel Vesta unterwegs, in dem sich der echte Präsident aufhält. Die Bodyguards werden erschossen und ein Selbstmordattentäter, der sich in der Lobby in die Luft sprengt, löst Chaos aus, sodass es gelingt, den Präsidenten in einem Krankenwagen zu entführen. Auf der Seite der Angegriffenen stehen der CIA-Agent (Dennis Quaid) und ein amerikanischer Tourist (Forest Whitaker), die versuchen, die Täter zu fassen, die aber immer einen Schritt voraus sind. Entgegen dem deutschen Titel „8 Blickwinkel“ beginnt die Geschichte 6 Mal von vorne und mit jeder Perspektive wird ein minutiös geplantes Komplott aufgedeckt. Die Geschichte wird rasant erzählt und man kann sagen, dass die Thrillerspannung funktioniert. Barnes ist als zentrale Figur mit einem Ziel ausgestattet, das stellvertretend von anderen übernommen wird (wenn z.b. der amerikanische Tourist die Verfolgung aufnimmt). Die Figurenentwicklung bleibt in diesem formalen Genreexperiment weitgehend auf der Strecke, was von der prominenten Besetzung aber „überspielt“ wird.
11:14 (Regie: Greg Marcks)
Um die Ereignisse einer halben Stunden geht es auch in „11:14“ (USA) von Jungregisseur Greg Marcks, der einen formal und stilistisch durchaus interessanten Film gemacht hat, in dem er nicht nur aus wechselnden Perspektiven, sondern auch rückwärts eine halbe Stunde aus dem Leben von mehreren jungen Menschen erzählt, deren nächtliche Aktionen am Ende zum Tod von zwei Menschen führen. Dass die Erzählung größere Schwächen hat, sei hier aber auch erwähnt.
Filme mit Perspektivenwechsel werden gelegentlich fälschlicherweise als Episodenfilme bezeichnet. Während der Episodenfilm meistens voneinander weitgehend unabhängige Einzelgeschichten versammelt, geht es bei Filmen mit Perspektivenwechsel gerade darum, ein und dasselbe Ereignis aus verschiedenen Perspektiven immer wieder zu erzählen. Filme mit Perspektivenwechsel behandeln häufig Gewaltthemen (z.B. Mord, Schulmassaker, Terroranschlag) und sind gern im Genre Thriller angesiedelt. Aber auch Dramen können durch Perspektivenwechsel an Spannung gewinnen.
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